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Biografie Dauerausstellung

Die Familie von Käthe Kollwitz

Großvater Julius Rupp

Die historische schwarz-weiß-Aufnahme zeigt Julius Rupp (1809-1884) als Halbfigur. Auf dem Porträt trägt er einen dunklen Anzug, einen Zweireiher, eine Brille und einen weißen Bart. Seine Arme sind angewinkelt; seine Hände ruhen auf den Oberschenkeln.
Julius Rupp, Fotograf unbekannt, Wikipedia, gemeinfrei

*13. August 1809 Königsberg; † 1884 ebenda

„Der Mensch ist nicht dazu da, glücklich zu sein, sondern dass er seine Pflicht erfülle.“

Inschrift auf dem Gedenkstein von Julius Rupp

Der eingravierte Schriftzug auf Julius Rupps Grabstein verrät uns bereits viel über seine strenge und zugleich wohlwollende Persönlichkeit. Käthe Kollwitz beschrieb ihn einmal als gutherzigen Großvater, einmal als furchteinflößend. Letzteres ist wohl seinem starken Willen und der Hartnäckigkeit zuzuschreiben, mit welcher er sich den Normen seiner Zeit widersetzte. 1809 in Königsberg geboren, prägte er als Theologe und Gründer der Freien Gemeinde Königsberg maßgeblich die religiös-politische Gemeinschaft, in der Kollwitz aufwuchs. Er studierte Theologie an der Königsberger Universität und ließ sich am Wittenberger Predigerseminar zum Pfarrer ausbilden. Nach seiner Habilitation zu Spinoza, lehrte Rupp Geschichte am Altstädter Gymnasium in Königsberg. 1842 trat er sein Amt des Divisionspfarrers an. In dieser Zeit, nur wenige Jahre vor der bürgerlichen Revolution von 1848, entflammte auch bei Rupp die Idee der bürgerlichen Emanzipation und Selbstbestimmung. Seine Kritik, die Landeskirche füge sich der staatlichen Ordnung, und seine damit einhergehende Forderung der Unabhängigkeit von Kirche und Staat äußerte Rupp öffentlich in einer Rede, mit einschneidenden Folgen. 1845 verlor er sein Amt als Divisionspfarrer und gründete 1846, mit der Unterstützung vieler Anhänger, die Religionsgemeinschaft Freie Gemeinde Königsberg. Hier erschuf er einen Ort für religiöse Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit. 

Vater Carl Schmidt

Die historische schwarz-weiß-Aufnahme zeigt das Ehepaar Schmidt. Auf dem Doppelporträt tragen sie dunkle Kleidung. Katharina sitzt und blickt direkt in die Kamera; Carl steht, mit den Händen in den Hüften, und blickt auf einen Punkt außerhalb der Kamera.
Carl und Katharina Schmidt; © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

*1825 Bischofsburg; †1898 Königsberg

„Die Wahrheit einer Idee maß er immer nur daran, wie sie im Leben stand, und die Menschen waren für ihn Ausgang und Ziel seines ganzen Denkens und Suchens.“

Stern, Lisbeth: Käthe Kollwitz, in: Freie Welt, S. 4

Der aus einfachen Verhältnissen stammende Carl Schmidt erfuhr bereits in jungen Jahren die Großzügigkeit hilfsbereiter Mitmenschen, die ihm eine weiterführende Schulausbildung ermöglichten. 1846 begann er sein Jurastudium an der Universität in Königsberg. Begeistert von republikanischen Ideen, engagierte er sich in der Revolution von 1848/49. Er legte sein juristisches Examen ab und wirkte in der Freien Gemeinde Königsberg, die zu dieser Zeit verboten war. Als Folge seines Engagements wurde er aus dem preußischen Justizdienst entlassen. Damit nahm sein Leben eine abrupte Wendung – Er ließ sich zum Maurer ausbilden und gründete als Maurermeister 1859 seine eigene Baufirma. Mit etlichen Bauaufträgen wuchs auch sein Vermögen. Seine Beteiligung an der Gründung des lokalen Handwerkervereins, als Mitglied der Fortschrittspartei und Abgeordneter der Königsberger Stadtverordnetenversammlung, festigte seine politische Haltung in den 1870er Jahren. Er zog sich einige Jahre später aus dem Geschäft zurück und stieg in der Freien Gemeinde Königsberg zum Gemeindeprediger auf. Als Vater lehrte er seine Kinder Respekt und Gehorsam den Eltern gegenüber und gab ihnen zugleich viele Freiheiten – sie konnten frei über ihr Taschengeld verfügen, durften selbständig die Stadt erkunden, den Bücherschrank erforschen und sich künstlerisch ausprobieren. Nach Julius Rupps Tod 1884 übernahm Carl Schmidt die Leitung der Gemeinde.

Bruder Konrad Schmidt

Die historische schwarz-weiß-Aufnahme zeigt Konrad Schmidt um 1885. Er trägt einen Schnurrbart, ein weißes Hemd mit Fliege, eine dunkle Weste und einen dunklen Mantel. Er schaut zur Seite, sein Blick ist auf einen Punkt außerhalb der Kamera gerichtet.
Konrad Schmidt; © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

*1863 Königsberg; † 1932 Berlin

Die junge Käthe Kollwitz sah zu ihrem älteren Bruder auf und war ihm im Laufe ihres Lebens stets eng verbunden. Als Kind bekam er viel Freiraum in der eigenen intellektuellen Entwicklung. Während Käthe und Lisbeth sich im Zeichnen ausprobierten, suchte Konrad seinen literarischen Ausdruck. Die Königsberger Gemeinschaft sowie die politisch-religiösen Ansichten des Vaters, die in die Erziehung mit hineinflossen, prägten ihn nachhaltig. So nahm er in Berlin sein Studium der Nationalökonomie auf, welches er 1886 mit einer Dissertation abschloss. Er studierte das Werk von Karl Marx und lernte Friedrich Engels kennen, den er in London besuchte. Nach seiner Heimkehr nach Königsberg trat er mit seinem Vater gemeinsam in die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands ein, die sich zur heutigen SPD entwickelte. Er nahm zunehmend die ethischen Aspekte der Arbeiterbewegung in den Fokus. 1895 ließ er sich in Berlin nieder. Er erhielt eine Anstellung bei der sozialdemokratischen Tageszeitung Vorwärts und wurde Vorsitzender der Freien Volksbühne von 1897 bis 1918. 1919 ernannte Konrad Haenisch, Kultusminister der ersten SPD-geführten preußischen Landesregierung, Konrad Schmidt zum Professor am Berliner Polytechnikum. Gesundheitlich geschwächt lebte er seit 1925 bei Käthe und Karl Kollwitz in Berlin. Dort verstarb er nach langer Krankheit am 14. Oktober 1932.

Ein älterer Mann erhebt sich mühsam von einer Bank. Seine rechte Hand stützt er auf einem Gehstock ab. Rechts unten signiert: Konrad Oktober 1932
Käthe Kollwitz, Konrad ruft der Tod, 1932, Kreidezeichnung

Schwester Lisbeth Stern und ihre Familie

Die historische schwarz-weiß-Aufnahme zeigt ein Familienporträt. Zu sehen sind das Ehepaar Georg und Lisbeth Stern, die gemeinsam mit ihren Kindern an einem offenen Fenster für ein gemeinsames Foto posieren.
Familie Stern, um 1900; Akademie der Künste, Berlin, Johanna-Hofer-Kortner-Archiv, 425

Lisbeth Stern *1870 Königsberg; †1963 Berlin

Georg Stern * 1867 Königsberg; †1934 Berlin

Käthe und Lisbeth hatten eine besonders starke Bindung und waren zeitlebens nicht nur Schwestern, sondern engste Vertraute und Freundinnen. Lisbeth unterstützte Käthes künstlerische Ambitionen und stand ihr Modell beim Zeichnen. 1893 heiratete sie Georg Stern und bekam mit ihm vier Töchter, die alle musisch hoch begabt waren.

Georg Stern stammte aus einer jüdischen Familie in Königsberg. 1890 schloss er sein Studium der Physik mit einer Promotion ab. 1893 begann er seine Ingenieurslaufbahn bei der Firma Ludwig Loewe & Co. 1904 erhielt er eine leitende Stelle bei der AEG in der Berliner Brunnenstraße. Stern war ein Pionier auf dem Gebiet der Hochspannungstechnik und wurde durch seine Publikationen in Fachzeitschriften international bekannt. 1926 wurde er zum stellvertretenden Vorstandsmitglied der AEG ernannt. 1931 ging er in den Ruhestand und widmete sich seiner Leidenschaft als Komponist. 1933 wurden seine Stücke sogar in der Berliner Philharmonie aufgeführt. Durch die Machtübernahme der NSDAP verlor er aufgrund seiner jüdischen Abstammung die Hälfte seiner Pensionszahlung. Auch die Töchter Regula, Hanna, Katharina und Maria erhielten keine Arbeit mehr. Hanna und Maria emigrierten daraufhin in die USA.

Ehemann Karl Kollwitz

Die historische schwarz-weiß-Aufnahme zeigt Karl Kollwitz um 1885. Er ist in stehender Position. Er trägt eine Brille und einen Ziegenbart. Er trägt ein dreiteiligen dunklen Anzug. Sein rechter Daumen ist in seine rechte Hosentasche eingehakt. Seine linke Hand hat er zu einer leichten Faust geballt. Sein Blick ist auf einen Punkt außerhalb der Kamera gerichtet.
Karl Kollwitz, um 1885, Fotograf unbekannt, Nachlass Kollwitz © Käthe Kollwitz Museum Köln

*1863 Rudau; †1940 Berlin

Der aus dem ostpreußischen Rudau stammende Karl Kollwitz verlor seinen Vater sehr früh und verbrachte seine Kindheit zunächst im Königlichen Waisenhaus in Königsberg, danach in verschiedenen Pensionen. Schon bald lernte er die Freie Gemeinde Königsberg kennen, wandte sich der Sozial­demokratie zu und wurde zu einem engen Freund von Konrad Schmidt. Bei den Schmidts war er stets willkommen und fand dort sein zweites Zuhause, wo er auch Bekannt­schaft mit der jungen Käthe Schmidt machte. Nach seinem Abitur begann er an der Albertus-Universität Königsberg sein Studium der Medizin. Trotz Käthes Angst, die Ehe könnte ihrem künstlerischen Dasein im Weg stehen, heirateten Käthe und Karl Kollwitz 1891. In Berlin hatte er im selben Wohnhaus, in dem sie wohnten, im Prenzlauer Berg seine Allgemein­arztpraxis. Sie bekamen zwei Söhne, 1892 Hans und 1896 Peter Kollwitz. Hans folgte als Arzt später den Fußstapfen des Vaters, während sich Peter der Malerei widmete. Karl Kollwitz engagierte  sich im Sozialdemokratischen Ärzteverein und wirkte als Mitglied des Jugendfürsorge­ausschusses im Prenzlauer Berg sowie in der Deutschen Liga für Menschenrechte mit. 1919 wurde er zum Stadtverordneten der SPD gewählt.

Die Beziehung zu seiner Frau hatte ihre Höhen und Tiefen, doch war sie voller Verständnis und Vertrautheit. Abends bat Karl sie immer darum ihm die Worte von Novalis vorzulesen:

Gib treulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor Deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.

Die Söhne Hans und Peter

Käthe Kollwitz steht in der Mitte und trägt einen Hut. Ihre beiden noch minderjährigen Söhne stehen an ihrer Seite. Der ältere Bruder Hans Kollwitz (1892-1971) steht auf der linken Seite; der jüngere Bruder Peter Kollwitz (1896-1914) steht auf der rechten Seite.
Käthe Kollwitz mit ihren Söhnen Hans und Peter, 1909; © Nachlass Kollwitz, Käthe Kollwitz Museum Köln

Hans Kollwitz *1892 †1971

Peter Kollwitz *1896 †1914

Käthe Kollwitz hatte eine sehr vertraute und starke Bindung zu ihren Söhnen Hans und Peter Kollwitz. Beide nahmen einen wichtigen Teil in ihrem künstlerischen Schaffen ein, standen ihr z.B. Modell und begleiteten ihre Arbeit im Atelier. Geprägt von den intellektuellen Strömungen seiner Zeit, entwickelte Hans ein literarisches Interesse, während Peter den Wunsch hatte Maler zu werden. Noch zu Schulzeiten schlossen sich beide dem „Wandervogel“ an, einer bürgerlichen Jugendbewegung, der auch Walter Benjamin angehörte. Charakteristisch für die damalige Zeit folgten sie mit starkem Pathos idealistischen Ideen, der Jugend eine eigene Stimme zu geben und sich gegen die Gehorsamkeit der wilhelminischen Zeit aufzulehnen. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war ganz Deutschland und vor allem die jüngere Generation im Kriegstaumel. Die patriotische Euphorie packte auch die beiden Brüder, die sich als Kriegsfreiwillige für die Front meldeten. Doch der 18jährige und damit noch minderjährige Peter Kollwitz benötigte die Einwilligung seiner Eltern. Karl Kollwitz war entschieden gegen den Krieg. Käthe Kollwitz ließ sich von der Idee einer neuen Zeit und dem Abschaffen alter Strukturen mitreißen und stellte sich auf die Seite ihres Sohnes. So ließ sich auch Karl umstimmen und unterschreibt schließlich die Einwilligungserklärung. Nur vier Wochen später fiel Peter in Flandern.

Hans Kollwitz trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters, schloss 1920 sein Medizinstudium ab und arbeitete zunächst in der Praxis von Karl Kollwitz mit. 1921 heiratete er die Malerin und Buchillustratorin Ottilie Ehlers. Den ersten gemeinsamen Sohn nannten sie Peter, zu Ehren des gefallenen Bruders.  Die junge Familie ließ sich in Berlin-Lichtenrade nieder, die Zwillinge Jutta und Jördis, und Sohn Arne vervollständigten das Familienglück. Oft verbrachte Käthe Kollwitz ganze Sommertage bei Hans und seiner Familie im dörflichen Lichtenrade und war gerne als Großmutter in das familiäre Leben eingebunden. Ab 1928 arbeitete er als Schularzt und nach dem Zweiten Weltkrieg in der Gesundheitsverwaltung Tempelhof als Amtsarzt. Enkelin Jutta betreute 1944 Käthe Kollwitz, die geschwächt von ihrem hohen Alter, vor den Bomben­angriffen in Moritzburg bei Dresden unterkam. Mit zunehmendem Interesse des Nachkriegs­deutschlands an Käthe Kollwitz Kunst, widmete sich Hans Kollwitz nach seiner Pensionierung dem Lebenswerk seiner Mutter. Er unterstützte Ausstellungen ihres Werkes und publizierte ihre Tagebücher und Briefe.