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Aktdarstellung Dauerausstellung

Die Plastik ‚Liebespaar‘

Kollwitz präsentierte auf der Frühjahrsausstellung der Freien Secession 1916 in zweifacher Hinsicht Überraschendes. Die renommierte Grafikerin stellte ihre erste plastische Arbeit aus, mit der sie sich einem für sie eher ungewöhnlichen Motiv annahm.

“Nach der kleinen Arbeit, die ich im Sommer machte und von der Du einen Gipsabguß sahst, die kleine Liebesgruppe, habe ich jetzt frei gearbeitet, mindestens um das Doppelte vergrößert. Nun ist endlich etwas herausgekommen was Ausdruck hat und auch technisch bestehn kann wie ich hoffe.”

Käthe Kollwitz. Briefe an den Sohn. 1904 bis 1945, hrsg. von Jutta Bohnke-Kollwitz, Berlin 1992, S. 73

Käthe Kollwitz war fasziniert von der Möglichkeit einer weiteren künstlerischen Dimension, in der sie ein Objekt erschaffen konnte. In der bildhauerischen Tradition stehend, widmete sie sich wie selbstverständlich zunächst dem wichtigsten Motiv der damaligen Bildhauerei, der Aktfigur.

Entstehungsgeschichte

Lange Entstehungszeiten sind für die Werke von Käthe Kollwitz keine Seltenheit. Auch für die Plastik Liebespaar benötigte sie einige Jahre, um sie anschließend als erstes plastisches Werk öffentlich zu zeigen. 

Der kurze Studienaufenthalt in Paris an der Académie Julian im Jahr 1904 hatte ihr nur eine Einführung in die bildhauerischen Techniken gegeben und sie musste sich alles Weitere autodidaktisch erarbeiten. Wie ernst es der Künstlerin mit ihrer plastischen Arbeit jedoch war, unterstreicht 1912 die Anmietung eines Ateliers ausschließlich für ihre Skulpturen in dem Atelierhaus Siegmundshof im Hansaviertel beim Tiergarten. 

Offensichtlich begann sie im Sommer 1911 die Arbeit an einer plastischen Gruppe, die sich mit der Beziehung zwischen Mann und Frau auseinandersetzte. Die »Secreta« Blätter könnten der Ausgangspunkt für die erste Fassung der plastischen Liebesgruppe gewesen sein. Diese erotischen Zeichnungen waren nie für die Öffentlichkeit bestimmt und wurden erst viele Jahrzehnte nach dem Tod der Künstlerin veröffentlicht. 

Die folgende Abbildung könnte eine Vorzeichnung zur Plastik Liebespaar darstellen.

Die Körper eines Mannes und einer Frau sind leidenschaftlich ineinander verschlungen. Während die Gesichtszüge der Frau dem Betrachter zugewandt sind, ist vom Mann nur der Rücken und der Hinterkopf zu sehen.
Käthe Kollwitz, Liebespaar, sich umarmend, 1909/10, Kohlezeichnung, © Käthe Kollwitz Museum Köln

Gleichzeitig spielt in das erotische Motiv aber auch das Thema Tod hinein. Einzelmotive, wie die Kopfhaltung der Frau, finden sich sowohl in der Zeichnung Liebespaar, sich umarmend als auch in Arbeiten zum Thema Tod, Frau und Kind

Die stark ineinander verschränkten Körper der beiden Liebenden in ihrer skizzenhaften Modellierung orientieren sich an dem großen Bildhauervorbild Auguste Rodin (1840 -1917) und verbinden die extreme Körperhaltung der Hockenden Frau mit der Erotik des Kuss von 1881. 

Das Bild, das die Künstlerin mit ihren recht jungen, unbekleideten Figuren entworfen hatte, war ein für die Zeit ungewöhnliches Motiv. Liebespaare hatten entweder bekleidet, mythologisch motiviert oder – seit Rodin – doch zumindest erfahrenen Alters zu sein.

Auguste Rodin, Der Kuss, ca. 1881, Terrakotta und Auguste Rodin, Die Hockende, 1880, Bronze