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Bilder vom Elend Dauerausstellung

Provenienzforschung

Was ist Provenienzforschung?

Ein wichtiger Bereich der Museumsarbeit ist die Beschäftigung mit der eigenen Sammlung. Dazu gehört auch das Wissen über die Herkunft der einzelnen Sammlungsobjekte. Nicht bei allen Werken ist die Herkunft, die sogenannte Provenienz, immer lückenlos bekannt.

Käthe Kollwitz hat zu Beginn ihrer künstlerischen Karriere vor allem Druckgrafik verkauft und an ausgewählte Kunstsammlungen auch Handzeichnungen oder Zustandsdrucke abgegeben. Das Dresdner Kupferstich-Kabinett unter Max Lehrs war zum Beispiel eine der ersten Institutionen, die Arbeiten von ihr erwarb. Aber es gab auch private Sammler, die sich für Kollwitz-Werke interessierten. Heute gibt es Blätter von Käthe Kollwitz, die im Laufe der Jahrzehnte Teil vieler Sammlungen waren und aus verschiedensten Gründen auf dem Kunstmarkt angeboten wurden und werden.

Der Berliner Textilhändler Julius Freund (1869-1941) ist der einzige Sammler, den Käthe Kollwitz in ihren Tagebüchern erwähnt, sogar zweimal. Sein Name stand und steht in Fachkreisen für die Qualität einer erlesenen Sammlung von Werken deutscher Künstler des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. 

In Cottbus geboren machte Freund in Berlin in der Konfektionsbranche mit Dreiteilern für Damen und Herren Karriere und gelangte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu erheblichem Wohlstand. Diesen nutzte er für den Aufbau einer Sammlung deutscher Kunst, die unter anderem Werke des Cottbuser Romantikers Carl Blechen, Max Liebermanns und auch Käthe Kollwitz enthielt. Leider ist bisher nicht belegt, wann sich Kollwitz und Freund kennengelernt haben. Vermutlich aber spätestens seit der großen Einzelausstellung in der Galerie Paul Cassirer anlässlich des 50. Geburtstages von Käthe Kollwitz im Sommer 1917. Einige der dort ausgestellten Werke finden sich später in der Sammlung von Julius Freund wieder. 

Katalog zur Jubiläumsausstellung von Käthe Kollwitz. Auf dem Cover steht in großen Lettern: Kaethe Kollwitz Sonder-Ausstellung zu ihrem fünfzigsten Geburtstag. Am unteren Bildrand steht in großen Lettern: Paul Cassirer / Berlin W. Victoriastrasse 35. In der Mitte des Covers ist ein Selbstbildnis von Käthe Kollwitz abgebildet.
Käthe Kollwitz. Sonderausstellung zu ihrem 50.Geburtstag, 1917

1920 lieh sich Käthe Kollwitz sogar zwei ihrer an Freund verkauften Handzeichnungen, um diese für die sogenannte Richter-Mappe aufwendig faksimilieren zu lassen. Diese beiden Zeichnungen – Weihnacht und Überfahren – gehören heute zur Sammlung des Museums und wurden vom Museumsgründer und Kunsthändler Hans Pels-Leusden erworben. Doch wie sind die beiden Blätter in den Besitz von Hans Pels-Leusden gekommen und warum ist diese Frage für das Museum relevant?

Das Familienporträt zeigt das sitzende Ehepaar Freund. Die beiden Kinder stehen neben der Mutter: Gisèles Hände liegen auf dem Schoß der Mutter, Hans hält sich am rechten Arm der Mutter fest.
Familienporträt Julius Freund, um 1912; © Jüdisches Museum Berlin, Nachlass Freund

Für den jüdischen Textilhändler und Kunstsammler Julius Freund und seine Familie änderte sich die Lebenssituation durch den Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 dramatisch. Seine Kinder Hans und Gisèle flohen aufgrund ihrer politisch linken Einstellung aus Deutschland und auch Julius Freund und seine Frau Clara hielten sich nun vorwiegend in Italien auf, nachdem der Berliner Textilbetrieb geschlossen werden musste. Freund setzte alles daran, seine umfangreiche Kunstsammlung als Ganzes vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu retten. Durch die Vermittlung von Oskar Reinhart und Fritz Nathan konnte die Sammlung als Dauerleihgabe im Kunstmuseum Winterthur in der Schweiz untergebracht werden.

Kollwitz notierte 1936 in ihrem Tagebuch knapp:

„3. August 1936 ist der Sammler Julius Freund mit seiner Frau bei mir. Er hat seine schöne Sammlung nach Winterthur in der Schweiz geschafft.“

Erst im Februar 1939 gelang es dem Ehepaar zu ihrem Sohn nach England zu fliehen. Aufgrund der hohen „Judenvermögensabgabe“ und „Reichsfluchtsteuer“ war Familie Freund nahezu mittellos in London gelandet und musste im September 1940 vor der Bombardierung Londons erneut fliehen. Auf der Flucht erlitt Julius Freund einen Schlaganfall und verstarb wenige Monate später am 11. März 1941 im Armenspital in Wigton, Cumberland. Seine Familie entschloss sich im Sommer 1941 zu einem Notverkauf der Kunstsammlung in der Schweiz, die im Frühjahr 1942 in der Galerie Fischer in Luzern versteigert wurde. Darunter auch die Werke von Käthe Kollwitz, die sich heute zum Teil in einigen Museen der Schweiz und Deutschlands wiederfinden, in privaten Sammlungen lokalisieren lassen oder vereinzelt gänzlich verschollen sind. 

Zu sehen ist das Cover des Auktionskatalog zur Sammlung von Julius Freund, die am 21. März 1942 in Luzern/Schweiz veräußert wurde.
Auktionskatalog, Sammlung Julius Freund, 21. März 1942

Da die Familie Freund aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten ins Exil gezwungen wurde, dazu ihres Vermögens beraubt und ihnen 1940 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, empfahl die sogenannte Limbach-Kommission im Jahr 2005 die Restitution für vier Werke der ehemaligen Sammlung Freund im Eigentum des Bundes. Weitere Rückgaben an die Familie erfolgten seither. Das Kollwitz-Museum steht in gutem Kontakt mit der anglophonen Erbengemeinschaft Freund und sieht das Gedenken des jüdischen Berliner Kunstsammlers Julius Freund und seiner Sammlung von Werken der Künstlerin Käthe Kollwitz als Teil seiner musealen Aufgabe. Dazu gehört auch zu erforschen, in wessen Besitz die beiden Zeichnungen waren, bevor sie in die Sammlung von Hans Pels-Leusden kamen.

Durch die Einzelausstellung zum 50. Geburtstag von Käthe Kollwitz im Jahr 1917 bei Paul Cassirer hatte die Zeichenkunst der Künstlerin eine große Aufmerksamkeit erfahren. Sie verkaufte nahezu alle ausgestellten Zeichnungen. So entstand das Bedürfnis, durch Faksimiles (originalgetreue Reproduktionen) ihre Zeichnungen breiter bekannt zu machen und auch selbst in der Erinnerung zu bewahren. Ein erstes Mappenwerk entstand 1920 und enthält 24 Faksimiles von Kollwitz-Zeichnungen, die sogenannte Richter-Mappe.

Emil Richter verehrte das Werk von Käthe Kollwitz und erhielt als Verleger ab 1900 das alleinige Recht ihre Platten zu drucken und ihr Werk zu vertreiben. Gemeinsam mit der Künstlerin wählte er 23 Zeichnungen für die Faksimile-Mappe aus. Es entstanden unterschiedliche Ausgaben dieser Mappe: eine unnummerierte Ausgabe C, die Ausgabe B mit 20 Exemplaren und nur fünf Exemplare der Ausgabe A, von denen das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin eine Mappe besitzt.