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Dauerausstellung Zwanziger Jahre

‚Ich will wirken in dieser Zeit‘

Flugblätter und Plakate

In ihrem umfangreichen Plakatschaffen stellte sich Käthe Kollwitz unterschiedlichsten zeitgenössischen Problemen, die von verschiedenen Initiativen an sie herangetragen worden waren. Sie erfand auch in diesem Medium Motive, die in einer zeitlosen Bildsprache Missstände thematisierten und damit über hundert Jahre später noch von Betrachtenden verstanden werden.

Eine Frau, die dem Betrachter den Rücken gekehrt hat. Zwei hungernde Kinder. Das kleine Mädchen zu ihrer Linken blickt bettelnd zu ihr auf. Der kleine Junge zu ihrer Rechten zerrt an ihrem Rock. Die Frau hält ihm, hinter ihrem Rücken, mit der rechten Hand den Mund zu. Am unteren Bildrand die lithographierte Aufschrift „Brot!“. Rechts unten signiert: Käthe Kollwitz
Käthe Kollwitz, „Brot!“, 1924, Kreidelithografie

Die Kreidelithografie Brot! zählt zu den bekanntesten Arbeiten von Käthe Kollwitz und entstand als Beitrag zu der 1924 von der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) herausgegebenen Hunger-Mappe, an der sich noch sechs weitere namhafte Künstler beteiligten. Der Erlös war für wohltätige Zwecke bestimmt. Die lithografierte Aufschrift „Brot!“ gibt der an sich stummen Szene, bestehend aus der Mutter und ihren beiden hungernden Kindern, eine eindrucksvolle Stimme. 

In einem Tagebucheintrag von Ende November 1923 hielt die Künstlerin die dramatische Situation der damaligen Zeit fest:

„Alles verschärft sich. Hier Plünderungen und versuchte Pogrome, Bayern im Kriegszustand gegen Norddeutschland. Hunger! Ein Brot 140 Milliarden! Dann wieder runtergesetzt auf 80 Milliarden. […] Hunger, Hunger überall. Auf den Straßen schwärmen die Arbeitslosen.“

Deutsche Heimarbeit-Ausstellung in Berlin 1906

Käthe Kollwitz, Plakat der Deutschen Heimarbeit-Ausstellung, Berlin 1906, (Motiv ohne Schrift)

Das Werbeplakat zur Deutschen Heimarbeit-Ausstellung 1906 in Berlin war wohl das erste Plakat, welches Käthe Kollwitz gestaltete. Wahrscheinlich verdankte sie den Auftrag ihrem Zyklus Ein Weberaufstand. Die grafische Folge brachte die Not und Verzweiflung der „heimarbeitenden“ Weber eindrucksvoll zum Ausdruck. Die Heimarbeit-Ausstellung verfolgte das Ziel, auf die schlechte Lohnsituation in der Textilbranche aufmerksam zu machen. Berlin galt damals als Zentrum der Heimarbeit für die Bekleidungsindustrie. 

Käthe Kollwitz‘ Darstellung einer übermüdeten, ausgezehrten Frau sorgte für einen Eklat am Rande der Ausstellung. Die Kaiserin war wenig begeistert von dieser Art Werbung und „erklärte, sie würde die Ausstellung erst besuchen, wenn das Kollwitzsche Plakat entfernt sei.“ (Otto Nagel, 1963, S. 33) Knapp 20 Jahre später arbeitete die Künstlerin erneut ein Plakat für eine Heimarbeit-Ausstellung. An der prekären Situation der Heimarbeiter hat sich auch 1925 wenig geändert.

Käthe Kollwitz – eine „soziale“ Künstlerin?

Käthe Kollwitz, Flugblätter gegen den Wucher, 1920er

Käthe Kollwitz wehrte sich gegen Zuschreibungen von außen, die sie als „soziale“ Künstlerin abstempelten: 

„Ich möchte hierbei einiges sagen über die Abstempelung zur „sozialen“ Künstlerin, die mich von da an [seit ihrem Durchbruch mit dem „Weberaufstand“] begleitete. Ganz gewiß ist meine Arbeit schon damals durch die Einstellung meines Vaters, meines Bruders, durch die ganze Literatur jener Zeit auf den Sozialismus hingewiesen. Das eigentliche Motiv aber, warum ich von jetzt an zur Darstellung fast nur das Arbeiterleben wählte, war, weil die aus dieser Sphäre gewählten Motive mir einfach und bedingungslos das gaben, was ich als schön empfand. Schön war für mich der Königsberger Lastträger, (…) schön war die Großzügigkeit der Bewegung im Volke. Ohne jeden Reiz waren mir Menschen aus dem bürgerlichen Leben. Das ganze bürgerliche Leben erschien mir pedantisch. Dagegen einen großen Wurf hatte das Proletariat. Erst viel später, als ich, besonders durch meinen Mann, die Schwere und Tragik der proletarischen Lebenstiefe kennenlernte, (…). Ungelöste Probleme wie Prostitution, Arbeitslosigkeit, quälten und beunruhigten mich und wirkten mit als Ursache dieser meiner Gebundenheit an die Darstellung des niederen Volkes, und ihre immer wiederholte Darstellung öffnete mir ein Ventil oder eine Möglichkeit, das Leben zu ertragen.“

Rückblick auf frühere Zeit, 1941
Frauen und Blinde. Um sie herum sind Kinder mit angstvoll fragenden, ratlosen Augen und blassen Gesichtern. Die Hauptfigur steht in der Bildmitte und ist schwarz gekleidet. Der Betrachter blickt in leere, dunkle Augenhöhlen. Die Figur hält drei Kinder vor sich. Am unteren Bildrand steht in großen Lettern: Die Überlebenden; Krieg dem Kriege! Herausgegeben vom Internationalen Gewerkschaftsbund Amsterdam. Links unten signiert: Kollwitz
Käthe Kollwitz, Die Überlebenden, 1923, Pinsel- u. Kreidelithografie

Käthe Kollwitz – eine „politische“ Künstlerin?

Auch als politisch wollte sich Käthe Kollwitz eigentlich nicht verstanden wissen, kritisierte an sich selbst „das Hin- und-her-gezogen-werden“ zwischen den Sozialdemokraten und den Kommunisten, für die sie letztlich in den 1920er Jahren eine ganze Reihe von Grafiken arbeitete, darunter auch verschiedene Plakate und Flugblätter. Der Erste Weltkrieg ließ Kollwitz in einigen Bereichen klare Stellung beziehen. Sie wurde Pazifistin und hat sich mit der internationalen Arbeiterhilfe ab 1921 für verschiedene Aktionen gegen den Krieg engagiert. Es entstanden Plakate wie Die Überlebenden. Krieg dem Kriege!, Nie wieder Krieg! und Heraus mit unseren Gefangenen!

“Am Totenfest waren Karl und ich zusammen in der Reichtagsfeier für die Weltkriegsgefallenen. In solchen Augenblicken, wenn ich mich mitarbeiten weiß in einer internationalen Gemeinschaft gegen den Krieg, hab ich ein warmes durchströmtes und befriedigtes Gefühl. Freilich reine Kunst wie z. B. die Schmidt-Rottluffsche ist meine nicht. Aber Kunst doch. Jeder arbeitet wie er kann. Ich bin einverstanden damit, daß meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.“

Käthe Kollwitz, Eintrag 4. Dezember 1922, Die Tagebücher 1908-1943, S. 542
Das Blatt zeigt einen Jugendlichen als Halbfigur vor einem unbestimmten Hintergrund, der seine linke Hand aufs Herz und die Rechte zum Schwur erhoben hat, mit weit geöffnetem Mund und wehendem Haar. Daneben steht der berühmte Slogan „Nie wieder Krieg!“.
Käthe Kollwitz, Nie wieder Krieg, 1924, Lithografie

Doch auch sozialen Themen blieb sie stark verbunden und empfand es als tröstlich mit ihrer Kunst „zu wirken“. Hunger war eine zentrale, schwerwiegende Folge des Ersten Weltkrieges – nicht allein Deutschlands Kinder hungern. Auch in anderen Teilen der Welt hungerten die Menschen, worauf Käthe Kollwitz in ihren oft unbezahlten Auftragsarbeiten aufmerksam machen wollte: Helft Russland, Wien stirbt! Rettet seine Kinder! Auch für die Belange der Frauen setzte sich die Künstlerin immer wieder ein. Nieder mit dem Abtreibungsparagraphen! und Mütter gebt von euerm Überfluss zeugen von ihrem Engagement.

Deutschlands Kinder hungern!, Plakat 1923